Beobachte den Beobachter – Der inhärente Konflikt

Marc Godau | 28. Mai 2014

Beobachte den Beobachter

Unter Musiker_innen und Pädagog_innen gilt es gewissermaßen als Selbstverständlichkeit, dass man Erarbeitetes auch präsentiert. Sprich: man probt, um ein Konzert spielen zu können. Die Frage ist nur, wie wir begründen, dass wir das Proben derartig begründen. Dieser Thematik möchte ich mich widmen, da es derzeitig ein Punkt der Irritation innerhalb meiner Appmusik-AG in der Ehlers-Schule ist. Als ich anfing diesen Beitrag zu schreiben, hatte ich vermutet, mich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man die Schüler_innen zum Auftreten motiviert oder dergleichen. Je mehr ich mich aber damit beschäftigte, desto weiter führte er mich weg von der Ebene des Probens und damit zu unserem Gruppengeschehen hin zur Situation des app2music-Projekts an sich. Ich möchte versuchen zu zeigen, wie das vermeintliche Motivationsproblem eher ein Symptom eines strukturellen Konflikts ist, den wir innerhalb des Projektes aufrechterhalten.

Performance als Problem

In den letzten drei Proben habe ich in der AG darauf gedrängt, dass ich vor unserem Abschlusskonzert am 19.6. ein kleineres Konzert in einer Hofpause mache wolle, damit wir das Auftreten vor Publikum üben. Ich selbst bin kein großer Freund von Methoden wie dem ‚imaginären Publikum’. Ich bevorzuge aus eigener Erfahrung heraus Anwesende, auch wenn es nur ein oder zwei Fremde sind, die spontan als Zuschauer hinzugeholt werden. Leider ist die Schule in unserer AG-Zeit leergefegt und nur die Reinigungsfrau ist unterwegs. Wir haben also kein Publikum, das wir spontan hinzuziehen können, da wir mittwochnachmittags allein im Schulhaus sind. Nun habe ich jedoch Widerstand geerntet: Wie sich herausstellte, wollen die Schüler_innen mit den erarbeiteten Songs gar nicht öffentlich auftreten bzw. haben gar nicht erwartet, derartiges zu tun. Und damit ist die Frage hier, wie man nun damit umgehen kann.  

Diskussion in der AG darüber, ob wir überhaupt auftreten sollten

Das iPad ruht und wir diskutieren darüber, ob wir mit unseren in der AG erarbeiteten Songs überhaupt auftreten sollten.

Die Situation

Meine Ausführungen werden dadurch gerahmt, dass ich mich auf die vorgefundene Situation, in der sich die Appmusik-AG strukturell befindet, konzentrieren werde. Dies hat Folgen für die Argumentation, da ich mich nicht so stark auf die jeweiligen Individuen beziehen werde. Sicherlich könnte man dies tun: Man könnte die Subjekte mit einbeziehen und erklären, dass die AG-Teilnehmer_innen eben aufgrund eigenem Unbehagen oder fehlender Motivation nicht auftreten wollen. Dies interessiert mich hier nicht so sehr. Es geht mir viermehr um den situativen Horizont, durch den Unbehagen und Motivation letztlich erst möglich und erklärbar werden. Hierzu möchte ich anfangs kurz erläutern, dass wir für das  app2music-Projekt neben dem Abschlusskonzert verschiedene Darstellungsformen nutzen, um auch die Prozesse innerhalb der Proben als Ergebnis zusammenzufassen. Wir beabsichtigen damit unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen und sie zeigen verschiedene Resultate.

Blog-Performance

Die erste Darstellungsform ist der Blog und damit auch dieser aktuelle Text selbst. Grob kann man dafür drei Zielgruppen unterscheiden:

  • Alle Teilnehmenden, sollen hier die Möglichkeit bekommen, die eigenen Veranstaltungen zu reflektieren und auch einen Überblick über die Geschehnisse in den anderen AG verschaffen. Die Präsentation der Blogbeiträge verhilft – so geht es mir jedenfalls – dazu, mit einem Abstand über die Geschehnisse der Proben nachzudenken und neue Ziele zu entwickeln. Damit wollen wir nicht zuletzt die Mitbestimmung der Teilnehmer_innen an ihrer AG unterstützen.
  • Daneben gibt es noch die implizit involvierten Personen. Zu diesem Kreis gehören die Eltern, die den Schüler_innen in nicht unerheblichen Maß die Teilnahme ermöglichen, sowie die Förderer, Projektfonds Kulturelle Bildung Berlin und Lehrer_innen der Schulen, ohne deren Hilfe das Projekt nicht laufen würde! Einerseits sollen sie die von uns – dem app2music-Team – als markant bewerteten Geschehnisse verfolgen können. Andererseits sollen sie damit auch ganz einfach sehen, dass überhaupt etwas geschieht, dass das dazu noch Bedeutung hat und dass es gut ist, dies zu unterstützen.
  • Und last but not least die große Gruppe der Interessierten, die die angebahnten Diskussionen aufrecht erhalten. Zum einen bieten informelle Gespräche oder Diskussionen innerhalb von Seminaren und Workshops im Rahmen von Hochschullehrveranstaltungen (UdK Berlin, Uni Potsdam) und Tagungen Anregungen und Austausch. Daneben findet themenspezifischer Dialog auch in einigen Gruppen sozialer Netzwerken wie z.B. facebook statt. Auch die Funktion dieser Gruppe ist nicht nur die der stillen Beobachter. Sie eröffnen die Möglichkeit, das Projekt auch in anderen Kontexten zu markieren, wodurch wir gewissermaßen die Kontrolle der Zielgruppe absichtlich aus der Hand geben können. So sind es doch die Interessierten, die das Projekt eben da bekannt und dokumentierte Erfahrungen vielleicht auch nutzbar machen können, wo wir entweder keinen Zugang haben oder nicht einmal an diesen Zugang denken.

Konzert-Performance

Die zweite Darstellungsform ist das Hinarbeiten auf eine Präsentation in einem (Schul)Konzert. Dies ist von der Projektplanung her betrachtet ein besonderes Kriterium, da sich daran die Prozesse innerhalb der Proben in nicht unerheblichen Maße orientieren. Man könnte jedoch auch von einem mitproduzierten Konflikt reden, da wir die Mitbestimmung der AG-Teilnehmer_innen fördern wollen und diese gleichzeitig an die Konditionierungen der selbst auferlegten Ergebnispräsentationen binden. Aus pädagogischer oder soziologischer Perspektive (da bin ich mir noch nicht so sicher) wird damit ein Zwang auferlegt, dessen Paradoxie sich nur schwer von der Richtlinie selbstbestimmter Entfaltung im Medium der Musik lösen lässt. Selbstbestimmung hieße hier eigentlich auch, dass die Gruppe entscheidet, wann und ob überhaupt ein Auftritt ansteht. Was bringt allerdings eine Musik-AG, die nichts präsentiert?

  • Man könnte man ästhetische Erfahrung als Antwort bieten. Innerhalb der Proben müssen wir uns mit ästhetischen Problemstellungen auseinandersetzen: So etwa die Entscheidung für angemessene Musikstücke oder die Auswahl passender Apps. Aber auch das musikalische Vorankommen als Gruppe ist ein ästhetisches Problem, denn es geht schließlich nicht nur darum, einfach drauflos zu spielen, sondern begründet Musik zu machen. Dies sehe ich als besondere Gefahr beim Appmusizieren. Gerade weil man so einfach und schnell zu musikalischen Ergebnissen gelangt, die für die Beteiligten gut klingen, muss vor dem unreflektierten ‚Herummusizieren’ gewarnt werden. Es geht nicht nur darum, etwas Tolles zu erleben, sondern auch Konsequenzen aus dem musikalischen Tätigwerden, dem Treffen von Entscheidungen und dem Anbahnen von Lösungen für künftiges musikbezogenes Handeln zu ziehen.
  • Im Kontext einer an der Kulturellen Bildung orientierten Argumentationslinie behaupte ich ferner, dass eben Teilhabe sich nicht im Machen hinter verschlossener Tür erschöpft, sondern auch Öffentlichkeit mit einbezieht. Musikmachen ist dann verallgemeinernd gesprochen nicht von Kultur zu trennen: Musiker_innen geben Konzerte. Ein Kontrast-Beispiel: Nehmen wir an, dass app2music-Team würde mit Familie XY gemeinsam im Wohnzimmer musizieren wollen. Dies ist zwar auch Kulturelle Bildung, sollte allerdings eher zu den unkonventionellen(!) Projektanträgen gehören. Wahrscheinlich würden Musik-AGs, die Hausmusik machen wollen, nicht gefördert, denn hierfür hat man doch Sozialisation. 🙂
  • Ein letzter Argumentationsgang ist auch, dass die AG-Schüler_innen vor einem Publikum präsentieren, das ihnen nicht unbekannt oder verdunkelt ist, wie beispielsweise die Beobacher_innen des Blogs. Es handelt sich um die ‚reale’ Menschen, bestehend aus Freund_innen, Bekannten oder Verwandten, die somit Einblicke in die Leistung der AG-Teilnehmer_innen gewinnen sollen. Zeigen die Blog-Beiträge vor allem Prozessberichte, so zwingt die Aufführungssituation innerhalb des Konzertes zu einer Bündelung der Arbeit, indem nicht mehr das Lernen, sondern das Präsentieren des Gelernten in den Fokus der Betrachtung rückt. So sehr die Videos auf dem Blog auch Ergebnisse festhalten mögen, es handelt sich immer nur um Ergebnisse so far. Die Verantwortung liegt nicht bei den AG-Teilnehmer_innen (diese können sich stets auf die probesituation berufen). Die Verantwortung liegt bei denjenigen, die die Blogbeiträge erstellen; die mit der Präsantation verbundenen Erwartungen richten sich an die Autor_innen. Ein Auftritt unter ‘Ernstbedingungen’ stellt eine erfahrungsstiftende Situation dar, die man innerhalb von Proben nicht nachstellen kann.

Fazit

Zusammenfassend muss ich kritisch beobachten, dass wir als app2music-Projekt mit den verschiedenen Präsentationsmethoden einen Konflikt aufrecht erhalten. Und zwar dadurch, dass wir immer schon ein Publikum mitführen, wodurch sich einige Prozesse nicht an die Teilnehmer_innen richten, sondern bereits als Akt der Performance betrachtet werden müssen. “Performance” wird hier gefasst als musikalische Aufführungen im Kontext der Beobachtung dieser Aufführungen. Wozu macht man sonst einen Blog mit Beiträgen, Fotos und Videos, wenn man nicht davon ausgeht, dass dieser auch von denjenigen gelesen, gesehen und gehört wird, von denen man annimmt, dies zu tun? Ich muss mich also korrigieren und schlussfolgern, dass immer schon ein ‚imaginäres Publikum’ zur Situation mitzählt. Damit wird die Frage aufgeworfen, wer die hauptsächliche Zielgruppe des Projektes ist: Die Kinder und Jugendlichen? Die implizit Involvierten? Die Interessierten? Innerhalb dieser kurzen Auseinandersetzung mit der Problematik sollte deutlich geworden sein, dass die Durchführung eines Konzertes nicht als Sachzwang formuliert werden kann (‚Man muss das halt machen, das ist einfach so.’). Es basiert auf Entscheidungen, die wir im Kontext einer zwar pädagogisch orientierten, aber auch wirtschaftlich motivierten Situation treffen bzw. getroffen haben. Dieser dadurch mitgeführte Konflikt lässt sich m.E. nur durch Offenlegung bearbeiten. Wenn es uns gelingt, die Wechselwirkung der benannten situativen Bestandteile des Projektes besser zu verstehen, können Wege gefunden werden, kreativ damit umzugehen. Dies könnte beispielsweise darin bestehen, dass wir die Teilnehmer_innen noch mehr mit einbeziehen in das, was auf dem Blog erscheint. Und dies ganz nach dem Motto: Was wollen wir heute der Öffentlichkeit preisgeben?

Interessant dazu war die Diskussion, die ich mit GG über den Beobachterartikel zum Thema Altersunterschiede hatte. Sie sah die Problematik nicht im Alter, sondern im Benehmen angesiedelt. Auch meine Argumentationslinie, dass ich dies überhaupt nicht mit einer derartig trivialen bzw. monokausalen Erklärung handhaben wollte, überzeugte sie nicht. Sie kündigte an, auch einen Beitrag dazu zu verfassen, der sich leider bis heute aufgrund von Klausuren, Krankheit und Vergessen noch nicht ergeben hatte.

(Und auch hier ist wieder zu sehen, wie das Probegeschehen verkürzt und präsentationsgerecht vorgetragen wird. An dieser Stelle seien die Leser gegrüßt, die meinen, ich hätte in dem Gespräch mit GG die Begriffe ‚monokausal’ und ‚trivial’ benutzt. Leider kann ich mich an den Wortlaut nicht mehr erinnern, weil dies letztlich in meiner Reflexion, die nie mehr als aktuelle Erinnerung sein kann, unentscheidend ist. 🙂 )  

Mich interessiert allerdings an dieser Stelle die Frage, welche Wege Ihr seht, um mit dieser Art struktureller Konflikte umzugehen.



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